Donnerstag, 29. September 2011
Deutschland, Deutschland über…, äh, Einigkeit und Recht und Freiheit
Eine Festschrift zum Tag der Deutschen Einheit

Der kommende Tag der Deutschen Einheit hat wieder eine besondere Bedeutung hier in Berlin, denn in diesem Jahr wurde des 50. Jahrestags des Mauerbaus gedacht. Was damals, nach fast dreißig Jahren der Teilung, kaum einer zu glauben wagte, geschah schnell: Kaum vier Wochen nach dem Beginn der Demonstrationen im Oktober ´89 fiel schon die Mauer.

Nun sind die Deutschen seit über zwanzig Jahren wieder vereint. Und jedes Jahr im Oktober die gleiche Frage: Gehören sie aber wirklich zueinander? Ist die Einheit mehr als angeschlossene Gleise, neue Autobahnen und gleiche Hartz-IV-Sätze in Ost und West?

Ich stehe auf der Bösebrücke an der Bornholmer Straße. Dort, wo vor 20 Jahren die ersten Grenzschranken aufgingen und Geschichte geschrieben wurde, rauschen heute Autos und Straßenbahnen vorbei, S-Bahnen fahren darunter. Vom großen Werbeplakat lächelt eine hübsche junge, südländisch aussehende Polizistin; darunter in großer Schrift: „Du bist Deutschland“.
Auch meine Wenigkeit, ein durchaus repräsentatives Individuum der neuen Welt, könnte von den „Du bist Deutschland“-Plakaten stolz blicken: Migrationshintergrund, seit ziemlich langem deutscher Pass – ja, auch den neuen Einbürgerungstest hätte ich bestanden, und hätte ich ihn geschrieben, hätte manch ein Deutscher wohl ausgebürgert werden müssen! Familienvater, frisch gebackener Dipl.-Ing., ein künftiger Leistungsträger der Gesellschaft.
Dabei würden die Politiker aller Parteien wohlmeinend nicken; selbst Herr Dieter Stein, der Chefredakteur der „liberal-konservativen“ (eigene Bezeichnung) „Rechtspostille“ („Der Spiegel“-Bezeichnung), bei der ich mal eine Zeitlang für die Verbreitung der Propaganda zuständig gewesen war und dies mit allen deutschen Tugenden „stets zur vollsten Zufriedenheit“ erledigt hatte, ja selbst er würde wohl zugeben, dass Deutschland einige von solchen Zuwanderern durchaus vertragen könnte.

Ich blicke auf die Stadt, in die Welt. Wo verlaufen die Mauern heute, wo beginnen und enden Parallelen, wo prallen die Gegensätze aufeinander? Nach erlebten vier Gesellschaftssystemen in drei Staaten ist mein Blick recht nüchtern.
Nachdem ausgerechnet ein roter Politiker mit runder Brille und ausgeprägtem Statistik-Fetisch die biologische Komponente in die Gesellschaftsbetrachtung wieder in dem Maße zurückholte, wie es Herr Stein als erklärter „Political Correctness“-Gegner kaum jemals gewagt hätte, bleibe auch ich beim einschlägigen Vokabular.

Zum ersten bevölkert die größte, aber aussterbende Gruppe die Fläche der Bundesrepublik: Die Eingeborenen, auch gemeinen Deutschen genannt. Diese unterteilt sich immer noch gern in West- und Ostpopulationen, die Vorurteile gegeneinander werden genussvoll gepflegt. Meine langjährige Herrin, eine ältere westdeutsche Dame mit dem Wohnsitz in West-Berlin, empfand die DDR-Bürger bei einigen Besuchen in Ost-Berlin als grimmige Personen, denen die Kommunikation Stasi-seitig wohl verboten worden war und deren Schranken im Kopf immer noch geschlossen waren – diese Meinung änderte sie Zeit ihres Lebens nicht. Mein anderer Chef hingegen, ein Ossi, erlebte die Wessis ausnahmslos als Menschen, bei denen außer heißer Luft nichts rauskommt, selbstgefällig, frech, undiszipliniert und, und, und…
Wie war es noch bei Darwin? Wie lange braucht man, um sich (wieder) durchzumischen? Jahrzehnte, Jahrtausende, Jahrmillionen???
Wer sind nun diese Eingeborenen? Die Alt-68er-Untoten, die an allem schuld sein sollen und immer noch für irgendetwas kämpfen, auch wenn sie schon längst vergaßen, wogegen. Die zum Teil stark öko-geschädigte, antiautoritäre 80er-Generation, die gern gegen Atomkraft, Irak-Krieg oder Turbokapitalismus einmal jährlich auf die Straße geht; sich dann um Lehman-Zertifikate mit 35 % Rendite p.a. reißt und damit den Irak-Krieg und Turbokapitalismus mit finanziert, um später über die Pleite zu jammern. Die orientierungslose Jugend, die im Web2.0 lebt, Ego-Shooter nächtelang spielt, nur zur Schule kommt, um es in echt nachzuspielen, und es gern doch etwas härter hätte. Die Feministinnen, die gegen Flatrates in Bordellen Sturm machen, worüber die Nutten nur lachen – oder könnten Sie, mal ehrlich, mehr als zwei Mal nacheinander? Die Hausbesitzer, die ihren Nachbarn per Einschreiben mit Rückschein streng abmahnen, weil einige Blätter seines Baumes über dem Zaun hängen, und sich dann in der Initiative „Für eine lebenswerte Umwelt e. V.“ engagieren. Menschen, die Kindergärten aus der Umgebung heraus klagen, und sich dann Sorgen um kippenden Generationen-Vertrag, ihre Rente und Pflegeversicherung machen. Wähler, die Reformen wollen, dann einen Kanzler für eben diese abstrafen, und die andere, glatt wie eine Teflon-Pfanne, auf Händen in die zweite Amtszeit tragen, um sich danach über ihre Unentschlossenheit zu ärgern. Ossis, die alten Zeiten hinterher jammern, obwohl sie auch als „Arme“ heute mehr Schnick-Schnack haben, als selbst Parteibonzen damals...
Abseits der Großstädte pflegen sie ihre geheimnisvolle Kultur, in heiler Welt mit traditionellen Werten. Mit Umzügen, in den Händen hölzerne Maria-Figuren im Bayerischen Wald oder wehende Hakenkreuz-Fahnen auf den mecklenburgischen Seeplatten. Mit Stammtischen und Schützenfesten, Klößen mit Sauerkraut und Bier. Wird die Welt sie vermissen? Wird sie ohne deutsche Autos oder Feststellungen wie „Es ist nicht möglich, den Tod eines Steuerpflichtigen als 'dauernde Berufsunfähigkeit' im Sinne von §16 Abs. 1 Satz 3 EStG zu werten und demgemäß den erhöhten Freibetrag abzuziehen“ zurecht kommen???

Zum anderen gibt es eine stetig wachsende, sich, wie nun oft zu hören ist, teilweise auch unkontrolliert vermehrende Gruppe der „ausländischen Mitbürger“ oder, im neuen PC-Deutsch noch besser bezeichnet, „Menschen mit Migrationshintergrund“. Menschen unterschiedlicher Hautfarben und Nationen, Kulturen und Religionen, mit differenzierten Wertevorstellungen und Lebensweisen, mit eigenen Idolen, Sympathien und Konflikten.
Versuchen Sie mal, einem Eingeborenen zu erklären, warum sich Perser und Araber, Türken und Armenier, Serben und Albaner oder Russen und Polen nicht riechen können! Wenn ich meinem Chef gegenüber außenpolitische oder weltgeschichtliche Lektionen diesbezüglich in der Kaffeepause halte und dann in seine großen ungläubigen Augen schaue, beende ich diese mit einem alles erklärenden Satz: „Ja, schon gut, ich weiß, für euch Deutsche sind wir alle eh‘ nur Kanaken.“ Er zieht seine Augen hoch und sagt nichts. „Ja, ja, das habe ich gesagt. Ich darf es.“ Oder brauche ich dafür eine runde Brille auf der Nase?
Wie stellt man sich diesen Migrationshintergrund denn vor? Ist er ein dichter Nebel, in dem man ewig herumirrt; ein hässlicher hoher Piepton wie bei einem Filmriss in der Glotze, der ständig in den Ohren pfeift und klares Denken stört; eine Mauer gar, gegen die man immer wieder rennt, ohne sie einreißen zu können, mit imaginären Selbstschussanlagen, vor denen kein Entkommen ist??

Man unterscheidet die „Menschen mit Migrationshintergrund“ gern danach, wie gut sie integriert sind, die Integration ist heute das Maß, ob man gut oder böse ist.
Die Besten sprechen natürlich perfekt Deutsch, sind gebildet, arbeiten und kommen in Deutschland gut zurecht. Sie ziehen über die Eingeborenen und deren oben aufgeführte Lebensweise zwar gern her, bohren die Wände am Wochenende und lassen die Waschmaschine auch nach 22 Uhr laufen, aber dann schimpfen sie an der Bushaltestelle, wenn sich der Bus mal um dreieinhalb Minuten verspätet oder wenn im Bürgeramt mehr als eine halbe Stunde gewartet werden muss.
Die Bösen können den Hartz-IV-Antrag kaum selbst ausfüllen, riechen zu stark nach Knoblauch und lassen ihren Migrationshintergrund immer im Vordergrund, indem sie sich in ihrer kleinen Welt abschotten. Sie verdienen ihr Geld angeblich schwarz mit Hehlerei, verprügeln Menschen in der U-Bahn grundlos zu Tode und surfen auf Internetseiten der Radikalen.
Selbst mir, einem weltoffenen, im Sinne des Internationalismus zu Zeiten des „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ erzogenen Menschen, drängt sich beim Anblick einer voll schwarz vermummten Frau mit großem Bauch unweigerlich die Frage auf, ob es noch das neunte Kind darin oder schon der Sprengstoffgürtel darum ist.
Alles nur Vorurteile? Schwarzseherei und endlose Bedenken? Wurde ich schon zu sehr deutsch???

Was ist das Geheimnis einer modernen, friedlichen und lebendigen Gesellschaft mit Zukunft? Ist es das viel beschworene Multi-Kulti mit dem Zuckerfest als Staatsfeiertag und Halloween als neuem muslimischem Brauch? Oder doch das Ohne-Kulti, die Aufgabe des eigenen Eingeborenen oder Migrationshintergrundes, das Leben für den Konsum, das ständige Hin- und Herziehen für einen neuen Job, ohne Wurzeln, ohne Ballast? Die Gesellschaft ist wie ein großes Getriebe mit unzähligen großen und kleinen Zahnrädern. Greifen diese nicht ineinander, bewegt sich nichts; reiben sie viel zu sehr aneinander, läuft das Getriebe heiß, es knallt und bricht.
Was ist Öl und was ist Sand darin? Manche „Migrationshintergründlinge“ versuchen krampfhaft, deutscher als deutsch zu werden, andere versuchen nicht minder krampfhaft so zu tun, als wären sie schon in der dritten Generation immer noch Gäste hier.
Es liegt an jedem Einzelnen, Deutschen oder Migranten, sein Leben frei zu gestalten und daraus das Beste zu machen. Für jetzt und die Zukunft. Für sich selbst, seine Nächsten und die ganze Gesellschaft.

Mein Rezept ist einfach: Ich feiere den 1. Mai, den Vatertag oder auch den Tag der Deutschen Einheit mit eiskaltem russischem Wodka, dazu saure Spreewaldgurken und gebratene Kartoffeln sowie Hähnchenteile aus dem türkischen Markt – aus garantiert unkontrollierter nichtökologischer Zucht, dafür aber 100%ig Halal.

Einen schönen Feiertag!

P.S.

Doch solange der Wodka kühlt und das Hähnchen knusprig wird, muss ich noch eine Kleinigkeit erledigen: Ich werde meine Nachbarn darüber informieren, dass ich mein Grundstück einzäunen will.
Per Einschreiben mit Rückschein – wie denn sonst?!

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