Freitag, 7. März 2014
Zur Lage in der Ukraine
„Wer Feuer auf der Straße legt, soll sich nicht wundern, wenn es plötzlich in seinem Hinterhof brennt.“
Stepan Bandera, ukrainischer Nationalist und Terrorist
(oder auch nicht)

Jahr 2014: 360 Jahre nach dem Beitritt der Ukraine zum russischen Reich, 60 Jahre nach der Übergabe der Halbinsel Krim an die Ukrainische SSR und über 20 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion stehen russische Truppen auf der eigentlich ukrainischen Krim: Es kam, wie es kommen musste. Musste? Natürlich, diese zwangsläufige Entwicklung war voraussehbar für jeden Menschen mit klarem Verstand, der die Situation in den ehemaligen Sowjetunionstaaten etwas besser versteht als nach bloßer Lektüre einiger Artikel oder Wikipedia-Einträge.

Der bewaffnete Umsturz in Kiew war sicherlich keine Sternstunde der Demokratie, wie es viele europäische Politiker sehen wollen. Dessen treibende Kraft waren vor allem Ultranationalisten und Neofaschisten, deren Großväter als Helfer der SS-Schergen im Krieg Juden, Kommunisten, Frauen und Kinder bereitwillig töteten, und die unter den alten Bannern immer noch regelmäßig durch die Westukraine marschieren. Doch geht es um geopolitische Interessen, scheinen viele Europäer, darunter auch Deutsche, auf dem rechten Auge blind zu sein. Der alte Präsident Janukowitsch war äußerst unpopulär, scheute Wirtschaftsreformen, lavierte unglücklich zwischen Ost und West, ließ die Korruption aufblühen. Dennoch war er demokratisch gewählt, deswegen durften die friedlichen Proteste niemals in Chaos und Gesetzlosigkeit ausufern.

An der Eskalation der Gewalt tragen europäische Politiker eine nicht unerhebliche Mitschuld: Nach Janukowitschs Absage der Unterschrift unter dem Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der EU entstand in Teilen der ukrainischen Bevölkerung der Eindruck, die Tür zum schnellen Beitritt zur EU würde für immer geschlossen. Dabei liegt der realistische Zeitraum für den Weg in die EU bei 50 bis 75 Jahren. Dieser Zeitraum ist einerseits bedingt durch die wirtschaftliche Lage der Union selbst (Eurokrise: Griechenland und Zypern sind klinisch tot und Fässer ohne Boden, Irland, Spanien, Portugal schnappen verkrampft nach Luft, Frankreich und Italien sind auf der Talfahrt in die Stagnation; neue Mitglieder wie Bulgarien und Rumänien brauchen noch Jahrzehnte und Milliarden für den Aufbau), andererseits an maroden Staats- und Wirtschaftswesen der Ukraine. Anstatt den Menschen diese Wahrheit zu vermitteln und die Botschaft des demokratischen Neuanfangs nach der regulären Amtszeit dieses Präsidenten auf dem verfassungsmäßigen Wege zu bekräftigen, mischten sich die EU-Politiker in diesen Machtkampf so heftig auf der Seite der Opposition ein, dass es selbst den Amerikanern, keinen besonderen Freunden Russlands, richtig unheimlich wurde – man denke nur an die „Fuck the EU“-Äußerung der amerikanischen wichtigsten Europaberaterin des US-Präsidenten.

In den nunmehr über acht Jahren ihrer Amtszeit vermied unsere Bundeskanzlerin tunlichst jeden Eindruck politisch entschlossenen Handelns, was sich bei den letzten zwei Bundestagswahlen für sie auszahlte. Schwer zu sagen, was sie geritten hatte, sich ausgerechnet in dieser höchst komplizierten und explosiven Angelegenheit so weit aus dem Fenster zu lehnen, denn an das Vorhandensein irgendwelcher politischen Überzeugengen bei ihr dürfte selbst der blauäugigste politische Idealist nicht mehr glauben. Ihre angebliche verborgene, immer vorausschauende Klugheit und Voraussicht doch nur ein Mythos? Bei der Unruhestiftung agierte sie jedenfalls kaum geschickter als der Ex-Boxweltmeister, bei dem jedoch niemand – allein im Hinblick auf die zahllosen Kopfschläge während seiner langen Karriere – eine besondere politische Weisheit ernsthaft erwarten würde.

Die EU-Politiker pokerten hoch, doch es gibt keinen Gewinn, und das Spielfeld selbst ist zerrüttet.

Was nun? Klar ist, dass die Krim russisch wird, egal ob als Bestandteil oder ein Scheinstaat wie Abchasien. Die Rückholung der Krim „Heim ins Reich“ ist innenpolitisch bei Anhängern wie auch bei Gegnern Putins sehr populär (Vergleiche mit gewissen Parallelen der deutschen Geschichte seien an dieser Stelle der amerikanischen Ex-Außenministerin vorbehalten). Die USA sind nun gezwungen, zu reagieren und zu sanktionieren, wobei die der Ukraine versprochene Milliarde Dollar für die Sicherung der Energieversorgung paradoxerweise in der Tasche Putins für sein Gas landen wird, wie auch ein Großteil der EU-Hilfsmittel, immerhin ganze 11 Milliarden Euro. Die EU-Staaten sind – welch Wunder! – mal wieder uneins. Es gibt nämlich keine besonders starke Verhandlungsbasis: Eine harte wirtschaftliche Auseinandersetzung würde Europa viel mehr als Russland schaden, weil sie vor allem Deutschland schaden würde. Deutschland ist nicht nur de facto das einzig verbliebene wirklich zahlungsfähige große Land Europas, die Stabilität des ganzen Kartenhauses Euro hängt im Grunde von einem einzigen Versprechen ab: dem der wirtschaftlich guten Lage und der brummenden Konjunktur hierzulande. Hustet die Bundesrepublik infolge eines möglichen Wirtschaftskriegs mit Russland, stirbt der Glaube an die Rettung des Euro – mit dramatischen Folgen für die gesamte Finanz- und Wirtschaftswelt.

Die harsche imperialistische Politik des „lupenreinen Demokraten“ Putin führt dem kritischen Beobachter immer wieder die Scheinheiligkeit des europäischen Weltbildes, die den Glauben an die Demokratie und freiheitliche Gesellschaft immer wieder zynisch untergräbt, vor.
Da erklärt der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung sinngemäß: „Scheiß auf die ukrainische Verfassung beim Sturz von Janukowitsch, der EU-Rat hat das gebilligt.“ Bildung der Regierung der nationalen Einheit, wie von den drei Außenministern ausgehandelt? Fehlanzeige, aber für diese Minister selbst nicht mehr wichtig.
Da zeigt sich die Hohe EU-Außenbeauftragte überrascht über die Tatsache, dass die Scharfschützen auf dem Maidan nicht von ukrainischer Polizei, sondern von den Aufständischen stammten, um mit Morden die Lage zum Kochen zu bringen, obwohl das Internet seit Wochen voll von Beweisfotos und –videos ist, die Aufständische mit Scharfschützengewehren auf den Gebäuden zeigen. Öffentlich würde niemand in Europa darüber reden, geschweige denn die neuen Machthaber in Kiew zur Aufklärung drängen. Die ganze Schuld kann man ja bequem auf flüchtigen Janukowitsch schieben.
Da ist die wundersame Milliardengeburt für die Finanzhilfe quasi über Nacht, während Griechenland erst an den Rand des Ruins und des sozialen Elends gebracht werden musste, bevor das Geld floss. Die Sterblichkeit unter Neugeborenen dort um über 40% gestiegen? Soziale Sicherung zusammengebrochen? Egal, die Griechen sind ja schon in der EU, was wollen sie denn mehr?! Der Großvater der deutschen Nation soll etwas Trost und Zuspruch spenden, wird schon reichen…

Wie geht es mit der Ukraine weiter? Allem Anschein nach in die Sackgasse: Gewinnt der östliche Kandidat die bevorstehenden Präsidentenwahlen, werden die Westukrainer wieder Unruhe stiften. Umgekehrt genau so: die Rufe nach Russland werden dann noch lauter. Putin sollte die Motoren seiner Panzer nicht kalt werden lassen, und die Europäer ihre Gasspeicher und Öltanks so prall auffüllen, wie es nur geht.

Das 21. Jahrhundert bleibt spannend…

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